Thomas Erle: Teufelskanzel – Ein Schwarzwaldkrimi

Thomas Erle: Teufelskanzel – Ein Schwarzwaldkrimi, Meßkirch 2013, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-1394-0, Softcover, 277 Seiten, Format: 20 x 12 x 2,2 cm , EUR 9,99 (D), EUR 10,30 (A).

„Was kann ein Grund sein, einen jungen, freundlichen Mann zu töten? (…) Warum an diesem Ort? In dieser Nacht? Gab es einen ausgeklügelten Plan, lange vorbereitet? Gab es ein Geheimnis um Luises Bruder, von dem niemand wusste?“ (Seite 161)

Lothar Kaltenbach, ein Akademiker Ende 30, ist vor ein paar Jahren als Inhaber einer Weinhandlung in Emmendingen bei Freiburg gelandet. Dass er aus einer Winzerfamilie stammt und einen guten Tropfen zu schätzen weiß, mag bei seiner Berufswahl eine Rolle gespielt haben. Ein bisschen unterfordert ist er mit diesem Job aber schon. Und seit der Trennung von seiner Frau Monika ist er auch einsam. Sein großer Freundes- und Bekanntenkreis kann das nur bedingt abfedern.

Und so beschäftigt er sich aus Langeweile mehr als nötig mit einem Unglücksfall, der sich in der Nacht zum Aschermittwoch auf dem Kandel, dem sagenumwobenen Schwarzwaldberg, ereignet. Unterhalb der „Teufelskanzel“ wird die Leiche eines Studenten im Fasnetshäs (Faschingskostüm) gefunden, nebst einem zertrümmerten Kreuz mit Hasenblut daran. Der Begleiter des Verunglückten steht unter Schock und faselt wirres Zeug vom Teufel, den er auf dem Berg gesehen haben will.

Diese Geschichte mit all ihren schrecklichen Details macht natürlich schnell ihre Runde in der Stadt. Lothar Kaltenbach schwingt sich umgehend auf seine Vespa und schaut sich den Unglücksort genau an. Inmitten der Schaulustigen fällt ihm eine junge Frau mit Inkamütze auf, die etwas zu suchen scheint. Er traut sich aber nicht, sie anzusprechen.

Auf der Beerdigung des Opfers, zu der er aus Neugier geht, sieht Kaltenbach die Frau wieder. Es ist die Schwester des Toten, Luise Bührer, eine Künstlerin aus Freiburg. Als sich die Trauergäste schon zerstreut haben, wird Kaltenbach Zeuge einer unheimlichen Szene: Ein unbekannter Mann zelebriert am offen Grab ein merkwürdiges Gebetsritual und wirft ein Schmuckstück auf den Sarg.

Kaltenbach schnappt sich das Artefakt. Wenn das Opfer, Peter Bührer, in sektiererische Umtriebe verwickelt war, hatte der „Teufel“ auf dem Berg bestimmt menschliche Gestalt und es war kein Unfall, sondern Mord oder Totschlag. Eine politische Dimension könnte der Fall auch haben, denn unser Hobbydetektiv erfährt bei seinen Recherchen, dass das Schmuckstück eine Triskele zeigt, ein Symbol, das auch von den Neonazis verwendet wird.

Seinen Stammtischkumpels kann Kaltenbach mit seinen Theorien nicht kommen, die würden ihm einen Vogel zeigen. Also nimmt er Kontakt mit Luise Bührer auf, in der korrekten Annahme, dass auch sie weder an Unfall noch Selbstmord glaubt und Interesse daran hat, dass der Schuldige an Peters Tod zur Verantwortung gezogen wird. Nun ermitteln sie gemeinsam. Kaltenbach käme Luise auch gerne menschlich näher, aber sie hat derzeit andere Prioritäten und erweist sich als spröde.

Es gibt Fotos von der Beerdigung, die auch den Unbekannten zeigen, der die Triskele ins Grab geworfen hat. Mit diesen Fotos ziehen Lothar und Luise durch die Gegend und befragen Leute. Eine Spur führt sie zu der Druidensekte des Sonderlings Erwin Sutter. „Die Wächter der Berge“ nennt sich die Gruppe und glaubt allerlei diffus Keltisches. Professor Dr. Wilfried Oberberger erklärt das so: „Die drei Belchen im Schwarzwald, in den Vogesen und im Jura bilden exakt ein rechtwinkliges Dreieck zueinander. Zum Frühlings- und Herbstbeginn nimmt die Sonne diesen Weg.“ (…) Vom Schwarzwald zum Grand Ballon im Elsass. Der keltische Sonnengott Bel auf seinem Weg von der Geburt im Osten zu seinem Tod im fernen Westen, weit über die sichtbare Grenze hinaus.“ (Seite 135)

Wenige Tage später liegt der Professor erschlagen in seinem Büro. Seine Oberrhein-Karte fehlt und ein paar wertvolle keltische Kunstwerke. Ausgerechnet Lothar Kaltenbach ist es, der den Toten findet. Spontan lässt er vom Tatort Arbeitsunterlagen mitgehen, die er für seine Nachforschungen braucht. Ob es wohl eine gute Idee ist, sich zusammen mit Luise in einen Workshop der Wächter-Sekte einzuschleichen? Wenn das nur harmlose Ökoschrate sind, ist es Zeitverschwendung. Wenn sie tatsächlich etwas mit Peter Bührers Tod zu tun haben, ist es der helle Wahnsinn …

Als Leser erfährt man viel Interessantes über die Glaubenswelt der Kelten – und über die wundersamen Informationswege in einer Kleinstadt. Durch Klatsch wird Kaltenbachs Interesse an dem Fall geweckt, sein weitverzweigtes Netzwerk an Bekannten versorgt ihn mit Informationen, bis schließlich schnöder Kollegentratsch den entscheidenden Hinweis liefert. Wie die Menschen in diesem Mikrokosmos miteinander umgehen, das schildert der Autor sehr lebendig und authentisch, bis hin zur Mundart. Herrlich sind auch die Naturbeschreibungen. Im Verlauf der Geschichte erwacht der Frühling, was Thomas Erle sehr bildhaft und geradezu poetisch beschreibt.

Schwierigkeiten macht der Held. Irgendwas stimmt nicht mit seinem Alter. Aufgrund seiner Biographie müsste er etwa Ende 30 sein. Wäre dies nicht erwähnt worden und würde man sich allein an seinen Gedanken, Jugenderinnerungen, Musikvorlieben sowie seinem Lebensstil und Freundeskreis orientieren, käme man zu dem Schluss, einen Menschen um die 60 vor sich zu haben. Da ging der Autor (Jahrgang 1952) vielleicht von sich selber aus. Die Thirtysomethings von heute sind aber „Digital Natives“. Sie zocken im Internet, streamen oder downloaden ihre Musik und recherchieren lieber online als in eine Bibliothek zu gehen. Sie sind mit ihrem Smartphone verwachsen und eilen nicht nach Hause, weil sie die Angebetete vom heimischen Festnetz aus anrufen müssen. Sie suchen auch nicht am Tatort nach einem Telefon. Sie haben ihres immer dabei.

Kein Mensch in Lothar Kaltenbachs angeblichem Alter lässt sich auf eine umständliche Kommunikation per Festnetz und Anrufbeantworter ein, wenn er mit einer Partnerin permanent in Sachen Mordermittlung unterwegs ist. Dass Kaltenbach tatsächlich ein Handy besitzt, erfährt man auf Seite 149. Warum benutzt er es dann nicht in Situationen, in denen es um Leben und Tod geht? Wie gesagt, wäre er + – 60, wäre das alles stimmig. Aber als ein Mensch in seinen Dreißigern ist er eine seltsam anachronistische Figur. Ein Analog-Saurier.

Man kann das Alter einer Figur nicht einfach behaupten und den Lebensstil, der damit einhergeht, völlig außer Acht lassen. Vielleicht hat ja jemand im Verlag gesagt: „Du kannst keinen Endfünfziger als Helden nehmen“ – und hat auf Seite 16 ein paar Zeitangaben korrigiert. Der Rest blieb, wie er war. Und das macht die Figur unglaubwürdig. Zumindest für Zahlenfreaks, die auf solche Feinheiten wie Altersangaben achten.

Erbsen könnte man noch so manche zählen: Wenn Lothar sich auf Seite 166 freut, dass er seine alten Stiefel trägt, wieso ist er dann vier Seiten später in ungeeigneten Halbschuhen auf den Berg unterwegs? Und wenn der Professor auf Seite 135 eine Folie über seine Oberrheinkarte legt, um darauf Markierungen vorzunehmen, schreibt er garantiert mit Filzstift. Da drücken sich keine Linien auf die Unterlage durch, die man auf Seite 205 mit Hilfe von Graphit wieder sichtbar machen kann. Aber lassen wir das. Von diesen Unstimmigkeiten abgesehen ist TEUFELSKANZEL solide Krimiunterhaltung in einem ungewöhnlichen Umfeld.

Der Autor
Thomas Erle, geb. 1952 in Schwetzingen, lebt seit 20 Jahren in Emmendingen bei Freiburg. Nach seinem Studium begab er sich auf ausgedehnte Studienreisen durch Europa, Asien und Amerika. Neben seiner Vorliebe für Musik, Literatur und guten Wein widmet er viel Zeit der Erkundung des Schwarzwalds und der angrenzenden Gebiete.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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