Es gab nie einen Masterplan

Als ich kürzlich bei meinem Vater Fotos aus den 70er Jahren anschaute, fiel mir ein Bekannter aus Kindertagen ein. Der hatte schon mit 18 eine ganz genaue Vorstellung davon, wie sein künftiges Leben verlaufen sollte:
„In zwei Jahren heirate ich meine Gabi, in fünf Jahren haben wir zwei Kinder, in zehn Jahren ein Haus. Und dann mache ich mich selbstständig.“

Ich war ein paar Jahre jünger als er und staunte. Langzeitplanung war mir fremd – und ist es stets geblieben. Ich habe immer nur auf äußere Gegebenheiten reagiert.

Unnötig zu sagen, dass dem Jugendfreund seine ganze Planerei nichts genutzt hat. Geheiratet hat er tatsächlich. Mehrfach. Eine Gabi war nicht dabei. Und auch sonst kam irgendwie alles ganz anders.

Ich hasse es zwar bis heute, irgendwelchen Situationen unvorbereitet gegenüberzustehen und habe immer gern so zwei bis drölf Handlungsalternativen in petto. Falls dies eintritt, machen wir das. Und wenn jenes passiert, können wir so oder so oder so reagieren … Aber das ist immer nur auf eine konkrete Situation bezogen. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wo ich in fünf Jahren stehen möchte und was ich tun müsste, um das zu erreichen.

„Kind hat Grips, Kind geht aufs Gymnasium“, beschloss mein Vater in den späten 60er Jahren. Auch wenn die Freundinnen alle auf die Haupt- und Realschule gingen. Und ich so: „Na gut.“

Nach der 11. Klasse war Spezialisierung auf Leistungskurse angesagt und ich musste mich für bestimmte Fächer entscheiden. Deutsch? Englisch? Kunst? Biologie? Astronomie? Psychologie? Ich nahm dann die Kombination, mit der ich mir ohne viel Aufwand die besten Noten versprach. Wohin die Reise beruflich gehen sollte, wusste ich ohnehin noch nicht. Mich interessierte so vieles. Vielleicht würde ich ja irgendwas mit Bio machen. Oder Archäologie? Graphikdesign? Oder doch irgendwas mit Klamotten? Textildesign? Bekleidungstechnik? Vielleicht erst eine Lehre? Dekorateur wie mein Cousin? Druckvorlagenhersteller? Maschinen mochte ich aber auch ganz gern. Drucker, vielleicht? Bei der Zeitung?

In der reformierten Oberstufe hatte ich dann eine Menge Hohlstunden, die ich meist an einem Fensterplatz in der Ortsbibliothek verbrachte. Da standen zufällig die Fachbücher zum Thema Werbung. Ich las mich quer durchs Angebot.

Werbung, au ja, cool, das wollte ich machen. Aber wie? Graphik? Psychologie? Oder irgendwie ganz anders?

Eine Nachbarin schleppte irgendwann einen Kumpel an, der an der FH Druck in Stuttgart Werbewirtschaft und Werbetechnik studiert hatte. Wir unterhielten uns stundenlang. Und ich dachte: „Oh, das klingt aber interessant. So vielseitig! Und ein Numerus Clausus ist auch nicht drauf.“

Mein Vater wollte nur eines wissen: „Was kann man mit so einem Abschluss verdienen?“
Ich sagte es ihm.
„Gut“, meinte er.
Dass er keine „unrentablen Hirnfürze“ zu finanzieren gedachte, hatte er schon verschiedentlich klargemacht. Zielführend musste ein Studium sein. Und möglichst schnell fertig.

Also studierte ich an der FH, überlegte unterwegs, ob nicht Journalismus oder Soziologie noch interessanter wären, schrieb nebenher für diverse Zeitungen und Zeitschriften, arbeitete als literarische Übersetzerin und organisierte Veranstaltungen.

Zu Studentenzeiten
Zu Studentenzeiten
Dito. Nur mit anderer Frisur.
Dito. Nur mit anderer Frisur.

Mein Studium habe ich durchgezogen. Aber was folgte, war nicht etwa eine Karriereplanung, sondern eine spontane, höchst subjektive Jobauswahl. „PR bei einer Bank? Klingt gut. Mach ich.“ – „O, ein Job in der Werbeabteilung eines Verlags! Noch besser! – „Selbständig? Das wäre auch mal nett“ – „Ach, nee, nix für mich. Lieber geh ich wieder als angestelltes Verlagswesen.“

Manchmal habe ich mich gefragt, was wohl aus mir geworden wäre, wenn in der Fensterecke der Ortsbibliothek Bücher zum Thema Ackerbau und Viehzucht gestanden hätte. Wäre ich dann heute Landwirtin?

Und so, wie ich mich beruflich durchgepfuscht habe, lief es auch privat. Irgendwann sind Gerhard und ich eben zusammengezogen und haben das Leben genommen, wie es kam. Selbst unser Wohnort war Zufall. Die Wohnung gehörte zuvor meinem Großvater. Nach dessen Tod habe ich sie übernommen.

Mit dem Wort „Zukunftspläne“ konnte ich nie etwas anfangen. Ich fand es schon irre, wenn wir im Winter bereits wussten, wohin wir im Sommer verreisen wollten.

Jetzt, so für die kommenden Jahre, hätten wir erstmals im Leben so etwas wie einen Plan gehabt. Wir wollten uns irgendwann mein Elternhaus herrichten und dort einziehen. Nun ist Gerhards Tod dazwischengekommen und ich komme mir ein bisschen vor wie der Kumpel aus Kindertagen, bei dem alles anders gelaufen ist als er es vorgehabt hat.

Auf jeden Fall habe ich mir ganz fest vorgenommen, für den Rest meines Lebens keine Pläne mehr zu machen.

Klingt nach einem Plan.

Bei einer Firmenfeier in den 90er Jahren
Bei einer Firmenfeier in den 90er Jahren
Bei einer geschäftlichen Veralstaltung  vor ca. 10 Jahren.
Bei einer geschäftlichen Veranstaltung vor ca. 10 Jahren.

3 Kommentare

  1. Mir geht es ähnlich, ich versuche nur noch das zu machen, was ich will und was ich mir leisten kann.
    Und genau das wünsche ich Ihnen auch, ganz liebe Grüße Uschi Geier mit Kater Samy.

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