Katrin Bongard: Schattenzwilling – Thriller, Hamburg 2014, Oetinger Taschenbuch GmbH, ISBN 978-3-8415-0279-7, Klappenbroschur, 267 Seiten, Format: 13,5 x 20,5 x 2,5 cm, Buch: EUR 12,99 (D), EUR 13,40 (A), Kindle Edition: EUR 11,99.
„Hast du Angst? Verstehst du, auf was du dich eingelassen hast? Begreifst du endlich, dass das kein Spiel ist? Es war immer blutiger Ernst, von Anfang an. Und jetzt, wo du unser Geheimnis kennst, musst du lernen zu schweigen. Jeder falsche Schritt wird bestraft werden, jedes Wort sich gegen dich wenden, und niemand wird dir glauben.“ (Seite 189)
Die Architektin Anne und ihr Mann Andreas, ein Biologe, sind gerade dabei, ihren neu erworbenen Bauernhof in Brandenburg zu einem Ferienlager umzubauen. Platz haben sie also genügend, zumal die beiden erwachsenen Söhne praktisch schon aus dem Haus sind. Da ist es kein Problem, dass ihre 16jährige Tochter Teresa eine Woche lange eine Freundin zu Besuch hat und sich gleichzeitig Matthias, ein Kumpel ihres Vaters, zusammen mit seinen 18jährigen Zwillingssöhnen Adrian und Kai ansagt.
Matthias will zu einem Astronomen-Treffen in Gülpe. Seine Söhne hat er Im Schlepptau, weil Adrian nach einem Sportunfall vor zwei Jahren im Rollstuhl sitzt und Kai und er sich um ihn kümmern müssen.
Matthias hat seine Jungs sicher nicht lange zum Mitkommen überreden müssen. Vor zwei Jahren haben sie Teresa bei einem Besuch in Köln kennen gelernt – und sich beide in sie verguckt. Sie hat sich allerdings mehr zu Adrian hingezogen gefühlt. Die beiden haben sich geküsst und geschworen, miteinander in Kontakt zu bleiben. Doch dann kam der Unfall dazwischen und Adrian hatte sicher anderes im Kopf das Mädchen aus Brandenburg. Der Kontakt ist abgebrochen.
Mittlerweile ist Teresa mit Pablo, dem besten Freund ihres älteren Bruders Jasper zusammen. Sie ist völlig verwirrt, als bei der Begegnung mit den Zwillingen ihre alten Gefühle wieder aufflackern, jedoch für den „falschen“ Bruder. Der attraktive Kai bringt jetzt ihre Hormone in Wallung. Adrian, der früher so fröhlich und offen war, hat sich durch seinen Unfall sehr verändert. Er hätte aber nach wie vor Interesse an Teresa …
Eine Weile genießt Teresa das Gefühl, von drei Männern – Pablo, Kai und Adrian – umschwärmt und begehrt zu werden und knutscht mal mit dem einen und mal mit dem anderen. Bis unheimliche und abstoßende Dinge geschehen, die sie als Warnung versteht. Erst wird an Pablos Auto eine Scheibe eingeschlagen, dann werden Tiere auf dem Hof verletzt oder auf grausame Weise hingemetzelt. Eine Ziege, Hühner, Kaninchen … Einmal findet Teresa sogar eine abgeschnittene Hühnerkralle auf ihrem Bett. Fortwährend werden Telefone und Computer sabotiert. Und wer hat einem der Jungs eine so hohe Dosis k.o.-Tropfen verpasst, dass er ins Krankenhaus muss? Dreht einer von Teresas Verehrern durch? Und wenn ja, welcher?
Teresa hat den Verdacht, dass mit den Zwillingen etwas nicht stimmt. Kann es sein, dass sie ihre Namen getauscht haben? Dass gar nicht Adrian im Rollstuhl sitzt, sondern Kai? Aber warum, um Himmels Willen? Was soll das? Und warum scheint das außer ihr niemand zu bemerken? Der Vater der Jungs müsste seine Söhne doch zweifelsfrei auseinanderhalten können! Dass sich manchmal der “Fußgänger“-Bruder in einen der Rollstühle setzt und sich für seinen querschnittsgelähmten Zwilling ausgibt, macht die Sache nicht einfacher.
Es kann doch nicht sein, dass sie sich das alles nur einbildet. Oder? Teresa ist völlig durcheinander. Jeder der beiden Brüder nimmt sie nun beiseite und warnt sie vor seinem angeblich durchgeknallten Zwilling. Was spielen die beiden jungen Männer nur für ein perfides Spiel?
Es ist sehr gut nachzuvollziehen, dass Teresa sich geschmeichelt fühlt, weil gleich mehrere attraktive Männer sie als Frau und nicht mehr als Mädchen wahrnehmen und dass sie das aufregende Gefühl genießt, so heiß begehrt zu werden.
Packend ist es, wie sie immer mehr Ungereimtheiten entdeckt und das Grauen langsam bis in ihren allerprivatesten Bereich vordringt. Wenn man sich nicht mal mehr in seinen eigenen vier Wänden sicher fühlen kann, wo dann? Doch die Grundidee, dass Zwillinge in ihrem alltäglichen Umfeld von heute auf morgen völlig unbemerkt ihre Identität tauschen können, kann man nicht so recht glauben.
Eineiige Zwillinge mögen einander sehr, sehr ähnlich sein, aber hundertprozentig identische Persönlichkeiten sind sie nicht. Sie können wahrscheinlich gänzlich Fremde täuschen, die nicht einmal wissen, dass es einen Zwilling gibt. Sie mögen gute Freunde und Verwandte für einen Moment hinters Licht führen können oder Menschen, die sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben. Doch nicht einmal der Trick mit der Klassenarbeit, die der eine für den anderen schreibt, klappt zuverlässig, weil Zwillinge unter Umständen ganz verschiedene Handschriften haben. Pfiffige LehrerInnen merken sowas! Und dass die eigenen Eltern ihre Zwillingskinder nicht auseinanderhalten können, das ist nahezu undenkbar.
Es gibt ein wahnsinnig packendes Finale, das geradezu filmreif ist. Doch dass ein grundlegender Zweifel an der Ausgangsidee der Geschichte nagt, das schmälert ein wenig das prickelnde und aufregende Lesevergnügen.
Die Autorin
Katrin Bongard lebte einige Jahre in New York und nun wieder in Berlin. Neben der Arbeit als Drehbuchentwicklerin für Film- und Fernsehen ist sie seit 2005 als Autorin tätig.
Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
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