Sonja Liebsch: Wadenbeißer. Roman

Sonja Liebsch: Wadenbeißer, Meßkirch 2014, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-1570-8, Softcover, 278 Seiten, Format: 11,8 x 2,2 x 20 cm, Buch: EUR 9,99 (D), EUR 10,30 (A), Kindle Edition: EUR 8,99. Wird auch als Hörbuch CD und zum Hörbuch-Download angeboten.

Abbildung © Gmeiner Verlag
Abbildung © Gmeiner Verlag

Bevor die gebürtige Rheinländerin Maxi Anders, 37, Mutter wurde, war sie Produktmanagerin in einer Firma für Medizintechnik. Mit Ehemann Alex und den Söhnen Till (sieben) und Jan (dreieinhalb) lebt sie in einem Dorf „im Hinterland des Bodensees“. Nach der Elternzeit wäre sie gerne wieder in Teilzeit auf ihre frühere Position zurückgekehrt, doch weil man ihr nur einen Job weit unter ihrer Qualifikation angeboten hat, hat sie erbost gekündigt. Damit ist sie in diesem Unternehmen kein Einzelfall. Keine Mutter kommt je wieder auf eine Führungsposition.

Jetzt organisiert Maxi Feiern und Veranstaltungen für ein Restaurant und schreibt Kolumnen für ein Jobforum im Internet. Mit ihrem Leben ist sie zufrieden. Das ändert sich schlagartig, als ihre Schwester Sibylle Schmitz, 40, auf einmal mit Sack und Pack uns Chihuahua Filou auf der Matte steht. Ihr Lebensgefährte Stefan hat sie aus dem noblen Loft in Köln-Ehrenfeld hinausgeworfen und gegen ein jüngeres Modell ausgetauscht. 20 Jahre lang hat sich Sibylles Leben nur um Stefan gedreht. Sie hat weder Freunde, die ihr wieder auf die Beine helfen könnten, noch einen Beruf, der sie über die Runden brächte. Sie hat nicht einmal eine abgeschlossene Ausbildung. Bleibt als Rettungsanker also nur die kleine Schwester.

Maxi ist nicht begeistert davon, dass Sibylle bei ihr Unterschlupf sucht. Besonders nahe standen sie sich nie; sie haben gänzlich unterschiedliche Vorstellungen vom Leben. Die beiden begegnen einander mit einer Mischung aus Unverständnis, Neid und Herablassung. Ein Schuss alter Geschwisterrivalität ist auch noch dabei. Doch „Blut ist dicker als Wasser“ hat man Maxi von klein auf eingebläut, und so wagt sie es nicht, ihrer Schwester die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Mögen ihre „Männer“ noch so grummeln: Sibylle zieht ein – und lässt sich fortan bedauern und bedienen.

Einen Plan für die Zukunft hat die geschasste Schwester nicht und macht auch keine Anstalten, ihr Leben neu ordnen zu wollen. Würde Maxi sich nicht darum kümmern, würde Sibylle nicht mal ihre Klamotten und ihren Schmuck aus der alten Wohnung holen. Sie mag deutlich besser aussehen als ihre jüngere Schwester, aber besonders lebenstüchtig ist sie nicht.

Als wäre der schwesterliche Familienzuwachs nicht schon stressig genug, meldet sich nun auch noch eine Veranstaltungsleiterin aus Stuttgart bei Maxi. Aufgrund ihrer Kolumnen möchte man sie als Gastrednerin zum Thema „Frauen in Führungspositionen“ buchen. Kurz danach fragt das Fernsehen an und Maxi landet als Talk-Gast im Studio bei Anne Will. Thema: „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Unverblümt erzählt sie dort von ihrem geplatzten Wiedereinstieg nach der Elternzeit, natürlich ohne den Namen der Firma zu nennen.

Ihre Teilnahme an der Fernsehshow löst einiges aus: ein Drama zu Hause, das sogar die Polizei auf den Plan ruft, viele positive Zuschriften von Frauen in ähnlichen beruflichen Situationen – und einen anonymen Drohbrief. Der lag unfrankiert im heimischen Briefkasten. Hat eine durchgeknallte Bekannte ihn dort platziert? Oder war es jemand aus Maxis alter Firma? Denen traut unsere Heldin mittlerweile alles zu. Dass diese miesen Mobber sich auch noch als familienfreundliches Unternehmen zertifizieren und feiern lassen, stößt ihr sauer auf. Maxi schnappt sich eine Ex-Kollegin, den Gatten und zwei Jungs vom Fernsehen und ist wild entschlossen, bei der öffentlichen Urkundenverleihung ihrem Ex-Arbeitgeber mal so richtig die Meinung zu geigen. Vor allen Leuten. Doch der Personalleiter und der Geschäftsführer sind auch nicht von gestern …

Kommen die Müttermobber mit ihrer fiesen Nummer durch oder werden sie gar noch öffentlich ausgezeichnet? Wird Maxis Leben jemals wieder in geordneten Bahnen verlaufen? Und vor allem: Weiß ihre große Schwester jetzt bald, was sie mit ihrem Leben anfangen will? Auf Dauer kann sie ja nicht bei Maxis Familie bleiben …

Okay … ein bisschen märchenhaft ist das ganze schon. Im realen Leben kann man vom gelegentlichen Event-Management für eine bessere Dorfkneipe und dem Schreiben von Kolumnen fürs Internet keine Familie ernähren und womöglich auch noch ein Haus abzahlen. So finanziell unabhängig wie Maxi dargestellt wird, kann sie nicht sein. (Und auch der Schluss ist fast zu gut um wahr zu sein.) Aber Maxi plant, organisiert und kümmert sich, während ihre Schwester in den Tag hineinlebt und davon ausgeht, dass ihr schon irgendwer die Kastanien aus dem Feuer holen wird, wenn’s tatsächlich mal Probleme geben sollte.

Als Leserin kann man beide Positionen irgendwie verstehen. Ein bisschen Planungs-Maxi und ein bisschen sorglose Sibylle steckt vermutlich in uns allen. Wenn die eine Schwester sich ein bisschen weniger und die andere sich ein bisschen mehr Gedanken machen würde, kämen beide prima klar. Auch miteinander.

Dass der Autorin das Thema Frauen/Mütter im Beruf ein Anliegen ist, ist mehr als deutlich. Die in die Handlung eingestreuten Kolumnen – und auch manche Dialoge – gehen klar in die Richtung „frauenpolitische Aufsätze“. Wem das Thema am Herzen liegt, der findet viele interessante Argumente darin. Auch über Geschwister wird manches Nachdenkenswerte gesagt. Mitunter vertieft man sich so in die einzelnen Kolumnen, dass man erst ein paar Augenblicke braucht um sich die Handlung wieder in Erinnerung zu rufen, wenn die Geschichte weitergeht.

Der Hund spielt in der Geschichte nur eine Nebenrolle. Graphisch treibt er allerdings als niedliches Daumenkino sein Unwesen in dem Band. Unter „Wadenbeißer“ versteht Maxi nicht nur kleine bellende Vierbeiner, sondern auch böswillige Mitmenschen, die einen aus dem Hinterhalt heraus angreifen, wenn man am allerwenigsten damit rechnet. Und mit denen bekommt sie es in diesem Band reichlich zu tun.

Die Männer in der Geschichte bleiben ein bisschen blass. Sibylles Ex und der Personalchef sind einfach nur Armleuchter, und von Maxis Mann weiß man nicht viel mehr als den Namen. Aber die Story ist unterhaltsam, wenn auch ein kleines bisschen schöngefärbt. Sie enthält kluge Gedanken und ist voll mit sympathisch unvollkommenen Frauengestalten. 🙂

Die Autorin
Sonja Liebsch wurde 1972 in Mönchengladbach geboren. Sie studierte Tourismusbetriebswirtschaft und lebt mit ihrer Familie in der Nähe des Bodensees. Sie ist in der Sprach- und Leseförderung tätig und hat bereits mehrere Spiele veröffentlicht. „Wadenbeißer“ ist nach „Muttertier @n Rabenmutter“ ihr zweiter Roman.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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