Eigentlich habe ich „meine“ Serienhelden und –heldinnen am liebsten weitgehend normal. Ich möchte mich ja mit ihnen identifizieren können.
Okay: ein bisschen schräg dürfen sie schon sein. Ich denke da an den schmuddeligen Inspektor Columbo, der sich als Trottel inszeniert, damit ihn alle unterschätzen. Die jeweiligen britischen Austausch-Polizisten in der Reihe Death in Paradise müssen sich gar nicht erst verstellen – sie sind alle ein bisschen unentspannt, weltfremd und ungeschickt, dafür aber brillante Ermittler. Auch Inspektor Morse, der wegen seines akademischen Hintergrunds gar nicht in das Umfeld passt, in dem er arbeitet, ist auf wohldosiere Weise anders.
Aber wann ist es Mode geworden, Personen aus dem Hauptcast soziale Inkompetenz auf den Leib zu schreiben, egal ob mit oder ohne angebliche Diagnose, oder ihnen Phobien und Zwangsstörungen anzudichten? Und warum?
Hihi, wie ist der denn drauf?
Hier weht nicht der gute alte Star-Trek-Geist. Man sagt uns nicht: „Hör mal, diese Figur sieht aus bestimmten Gründen die Welt anders als die meisten von uns. Das und das kann sie nicht, mag sie nicht und/oder versteht sie nicht. Das macht aber nichts. Sie kommt klar. Dies und jenes wiederum kann sie sehr gut. Sie ist okay, man kann sich auf sie verlassen. Sie ist ein ebenso geschätztes Mitglied der Gruppe wie alle anderen.“
Das wäre für mich ein begrüßenswerter Ansatz. Aber meistens läuft es eher auf ein mehr oder weniger hämisches „Hihihi, wie ist der denn drauf?“ hinaus. Man kolportiert und zementiert Klischees und Vorurteile und amüsiert sich auf Kosten anderer.
Und da bin ich raus. Ich will nicht, dass man Menschen auslacht, nur weil deren Verhalten aufgrund einer neurologischen Besonderheit oder einer Erkrankung nicht unseren Erwartungen entspricht, auch wenn diese Personen gar nicht real existieren. Das ist derart fies, dass man so nicht einmal mit fiktionalen Menschen aus einer Fernsehserie umgehen sollte.
Wenn sich durch die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Personen Missverständnisse ergeben, die zum Schmunzeln sind, kann man das gerne zeigen. Dann lacht man mit den Leuten, aber nicht über sie.
Hier sind ein paar Beispiele aus der TV-Serienlandschaft. Wahrscheinlich gibt’s noch -zig andere, die ich gar nicht kenne.
Mangelnde Sozialkompetenz
- Notruf Hafenkante – Polizistin Alexandra Seifart: Alexithymie
- SOKO Stuttgart – Rico Sander, IT-Spezialist: Autismus-Spektrum-Störung
- Ella Schön – Juristin Ella Schön: Autismus-Spektrum-Störung
- The Good Doctor – Chirurg Shaun Murphy: Autismus-Spektrum-Störung
- Bones, die Knochenjägerin – Forensische Anthropologin Temperance Brennan: Beschränkte soziale Kompetenzen, weltfremd, distanziert. Ich habe die Serie zu selten gesehen um zu wissen, ob Dr. Brennan jemals eine Diagnose gestellt bekommen hat.
Neurosen und Psychosen
- Monk – Ex-Polizist und Privatdetektiv Adrian Monk: Zwangsstörungen, Phobien
- Art of Crime – Kunsthistorikerin Florence Chassagne: Höhenangst, Panikattacken
- Profiling Paris – Kriminologin und Kriminalpsychologin Chloé Saint-Laurent: traumatisiert durch ein Familiendrama, dessen Zeugin sie als Kind wurde, und in ihrem Verhalten bizarr.
Dann gibt es noch eine dritte Gruppe. Bei dieser habe ich manchmal den Eindruck, dass man ungezogenen, rüpelhaften Figuren lediglich ein medizinisches Deckmäntelchen umgehängt hat. Denen fehlt womöglich gar nichts außer ein paar Manieren. Aber weil sie immer so flegelhaft direkt sind, haben alle Angst vor ihnen und sie kommen mit ihrer Masche durch.
Die brutal Rücksichtslosen
- Professor T. – Dozent der Kriminologie und Kriminalpsychologie Prof. Jasper Thalheim: verfügt über eine geringe Sozialkompetenz, fehlende Empathie und hat eine Zwangsstörung
- Die Spezialisten – hier haben die Kriminaltechnikerin und die Rechtsmedizinerin einen Mangel an Sozialkompetenz, und zwar nicht erst in der aktuellen Staffel. Egal, wie das Team zusammengesetzt ist, es sind immer mindestens zwei dabei, die sich empathielos verhalten, einen dauerhaft beleidigten Gesichtsausdruck haben und ausschließlich pampige Antworten geben.
Übrigens: Wenn man den Zuschauern handelsübliche A***l*cher (und A***l*cherinnen) als angebliche Autisten verkauft, braucht man sich nicht darüber zu wundern, dass der Begriff „Autist“ als Schimpfwort missbraucht wird. Und das sollte definitiv nicht so sein.
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