Lisa Graf-Riemann: Kurschatten-Affäre. Ein Bad-Reichenhall-Krimi, Wals bei Salzburg, Österreich 2021, Servus / Red Bull Media House GmbH, ISBN: 978-3-7104-0238-8, Softcover, 283 Seiten, Format: 13,7 x 2,7 x 20,3 cm. Buch: EUR 14,00, Kindle: EUR 9,99.
„Ich finde es auf jeden Fall bemerkenswert, was auf einmal alles passiert hier. Außer Rollator-Rallye, Sommerakademie, Kurkonzerte, Rupertus-Thermenlauf, Kurgarten leuchtet und Thumsee brennt ist doch nicht so furchtbar viel los bei uns, sei mal ehrlich. Und jetzt geht es Schlag auf Schlag. Erst kommt die Verteidigungsministerin, dann der große Kongress im Kurhaus und jetzt noch der Sniper im [Hotel] Axelmannstein. Eine Hammerschlagzeile jagt die nächste.“ (Seite 208)
Ein leicht verpeilter Held
Bad Reichenhall, Mai/Juni 2019: Als „Hochstapler“ und „Gentlemanverbrecher“ wird der Held der Geschichte, Alexander „Sascha“ Maiensäss (35) im Klappentext bezeichnet. Ich sehe ihn eher als liebenswerten, leicht verpeilten Verlierertyp, der nichts auf die Reihe kriegt. Absichtlich macht er gar nichts. Wie auch? Er hat ja keinen Plan. Alles passiert einfach, und weil er stets den Weg den geringsten Widerstands geht, wehrt er sich auch nicht dagegen.
Saschas unstete Mutter arbeitet im Ausland, zum Vater hat er keinen Kontakt, das Medizinstudium hat er vor Jahren kurz vorm Abschluss abgebrochen. Jetzt wohnt der Ex-Biathlet bei seiner Großtante Paulina in deren Villa in Bad Reichenhall und arbeitet als Croupier. Er hat wechselnde Liebschaften und lebt in den Tag hinein. Als sein Kumpel, der Physiotherapeut Ulli Böllmann, ihn in einer terminlichen Notlage bittet, für ihn einen Behandlungstermin zu übernehmen, sagt Sascha zu, obwohl er außer dem abgebrochenen Medizinstudium keinerlei Qualifikationen hat.
Nein sagen ist nicht sein Ding
Die Patientin Mira Schimmel – ein Kurgast aus Berlin – ist trotzdem zufrieden und bucht weitere Termine bei ihm. Sie hat Probleme in ihrer Ehe mit einem 20+ Jahre älteren Facharzt und braucht eigentlich nur ein paar Streicheleinheiten und einen guten Zuhörer. Das kriegt der charmante Sascha locker hin!
Die Patientin ist ungefähr in seinem Alter. Attraktiv ist sie auch noch, und, zack, ist er ihr Kurschatten. Nein sagen ist ja nicht so sein Ding. Das zeigt sich auch, als ein Pärchen im Casino unverhältnismäßig hohe Beträge gewinnt und ihm Geld bietet, wenn er nicht so genau hinschaut, wie das vonstatten geht. Ich kenne mich nicht aus in der Szene, aber ich hätte jetzt erwartet, dass Sascha den Vorfall seinem Chef meldet, statt den einzigen Job zu riskieren, den er hat. Aber gut: seine Entscheidung!
Plötzlich unter Verdacht
Im Gegensatz zu Sascha sehen wir Leser*innen das Unheil kommen – in Gestalt eines traumatisierten Mannes, der seinen beruflichen Aufenthalt in Bad Reichenhall dazu nutzt, ein paar alte Rechnungen zu begleichen.
Bei einer Veranstaltung im Grandhotel Axelmannstein fallen plötzlich Schüsse. Ein Hotelgast liegt tot auf der Terrasse und der arglose Sascha hat jetzt eine ganze Menge zu erklären. Er hat den Mann noch nie gesehen, doch auf einmal soll er ein Motiv haben. Dass er aufgrund seiner früheren Sportlerkarriere etwas vom Schießen versteht, gereicht ihm ebenso zum Nachteil wie sein Berufs- und Liebesleben. Alibi hat er auch keines.
Da hilft nur eines: Sascha muss beweisen, dass er mit dem Mord nichts zu tun hat und am besten den wahren Täter ausfindig machen. Das heißt, er muss aktiv werden. 😉 Zum Glück hat er Mira Schimmel sowie seine unverwüstliche Großtante Paulina und die umtriebige Lokalreporterin Daniela Keck auf seiner Seite …
Man hat einen gewissen Heimvorteil, wenn man sich in Bad Reichenhall auskennt und die Schauplätze vor Augen hat, aber es ist keine zwingende Voraussetzung. Ich kenne nur Baden-Baden und hatte das Gefühl, dass es da doch ein paar Gemeinsamkeiten gibt: eine Kurstadt, viele Senioren, Glücksspiel, russische Kurgäste (einst und jetzt) …
Morde und Familiengeheimisse
Sascha hat ein starkes Interesse an allem Russischen, und das kommt nicht von ungefähr. Seine Familiengeschichte ist ein bisschen rätselhaft und sein Großvater hat immer erzählt, sie stammten vom russischen Hochadel ab. War das nur Wunschdenken oder ist da wirklich was dran? Großtante Paulina, die mehr darüber wissen müsste, tut das als albernes Geschwätz ab.
Irgendwie fand ich das lange gehütete Familiengeheimnis der Maiensäss-Sippe interessanter als den Mordfall im Hotel. Da wissen wir ja von Anfang an, wer aus welchen Gründen hinter wem her ist. So gesehen besteht die Spannung „nur“ in der Frage, ob und wie es dem Unglücksraben Sascha gelingt, sich vom Mordverdacht reinzuwaschen. Aber wie war das jetzt genau mit Uroma Annuschka und ihren Männern? Darüber hätte ich gerne noch mehr erfahren.
Dass man in einem Roman, in dem der Held als Croupier arbeitet, ein bisschen hinter die Kulissen eines Spielcasinos spähen kann, ist zu erwarten. Dass es in einer Kurstadt auch um Gesundheit und Wellness geht, ist ebenfalls keine Überraschung. Doch dass man auch noch Interessantes über Schusswaffen, das Militär und die Arbeit eines Personenschützers erfährt, kam unverhofft. Ich lerne gern dazu.
Amateurdetektive mit Zukunft?
Wenn Sascha wirklich als Krimiheld in Serie gehen soll, bin ich gespannt, wie das wird. Ernsthaft wie die Themen, die rum um die Mordfälle zur Sprache kommen oder eher skurril-lustig wie die Ermittlungen der Amateurdetektive in der Villa Palmira? Ein Mix aus beidem? Auf jeden Fall sollte Sascha bald mal erwachsen werden und nicht länger das Leben eines Teenagers führen, der sich nur dann vorwärts bewegt, wenn ihn einer tritt. Und ich weiß nicht recht, was ich von Mira halten soll. Liegt ihr wirklich was an Sascha, oder hat sie nur einen leicht manipulierbaren Kasper gesucht, der für sie die Kastanien aus dem Feuer holt? Und auch der Journalistin traue ich nicht so ganz über den Weg. Was ist ihr im Zweifelsfall wichtiger? Ihre Freunde oder ihre Story?
Sascha und seine Großtante sind klasse. Das übrige Romanpersonal ist mir noch ein bisschen suspekt. Ich bin aber gern wieder dabei, wenn Sascha und Großtante Paulina – möge sie noch lange leben – erneut ermitteln. In einer Stadt mit wohlhabenden Kurgästen und einer Spielbank gibt’s sicher einiges zu tun.
In edlem Gold
Noch eine kleine Anmerkung zur Aufmachung des Buchs: Dass der Buchschnitt nicht gelb eingefärbt ist, sondern in edlem Gold schimmert, habe ich erst bemerkt, als ich den Krimi mal mit auf den Balkon genommen habe. Das ist sehr dezent gemacht.
Die Autorin
Lisa Graf-Riemann, 1958 in Passau geboren, studierte Romanistik und Völkerkunde an der LMU München, in Murcia (Spanien) und Coimbra (Portugal). Sie wohnt im Berchtesgadener Land in Salzburg-Nähe. Sie war als Redakteurin und Polizeidolmetscherin tätig und schreibt heute als freie Autorin Kriminalromane, Romane und Reisebücher, auch über das Berchtesgadener Land. »Kurschatten-Affäre» ist der erste Band ihrer neuen Bad-Reichenhall-Reihe mit Hochstapler und Gentlemanverbrecher Alexander »Sascha« Maiensäss.
Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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