Rosie Walsh: Ein ganzes Leben lang. Roman

Rosie Walsh: Ein ganzes Leben lang. Roman, OT: The Love of My Life, aus dem Englischen von Stefanie Retterbush, München 2021, Goldmann Verlag, ISBN 978-3 442-48850-6, Klappenbroschur, 580 Seiten, Format: 12,9 x 4,2 x 18,6 cm, Buch: EUR 12,00 (D), EUR 12,40 (A), Kindle: EUR 9,99. Auch als Hörbuch lieferbar.

Journalist Leo sucht was und kramt dabei in den Unterlagen seiner Frau.
Abb.: (c) Goldmann Verlag

Familiengeheimnisse und Leute, die sich irgendwann in ihrem Leben komplett neu erfinden, faszinieren mich, weshalb ich mir dieses Buch zugelegt habe.

Darum geht’s: Die britische Meeresbiologin Emma Merry Bigelow (39) und der Journalist Leo Jack Philber (45) sind seit zehn Jahren ein Paar, seit sieben Jahren verheiratet und haben eine dreijährige Tochter namens Ruby. Zusammen mit Hund John leben die drei in einem chaotischen kleinen Häuschen in der Londoner Heath Street, das Emma von ihrer Großmutter geerbt hat. 

Zu Leos Aufgaben bei der Zeitung gehört es, Nachrufe auf prominente Zeitgenossen zu verfassen. Das machen seine Kollegen und er gerne auf Vorrat, um im Fall eines Falles präpariert zu sein. Als Emma, eine bekannte Wissenschaftlerin, die eine BBC-Doku-Reihe moderiert hat, lebensgefährlich erkrankt, will Leo ihren Nachruf selbst schreiben. Das ist makaber, aber das ist nun mal sein Job.

Beim Schreiben stellt er fest, dass er gar nicht alle Fakten parat hat. Wann, wo und woran sind eigentlich Emmas Eltern gestorben? Sie ist schon als Kind Vollwaise geworden und bei ihrer Oma aufgewachsen. Und warum nochmal trägt sie nicht den Nachnamen ihres Vaters? Das hat auch irgendwas mit der Großmutter mütterlicherseits zu tun, doch er bringt die Fakten nicht mehr zusammen.

Fragen mag er seine Frau nicht, also tut er was, was man eigentlich nicht tun sollte: Er kramt heimlich in ihren Papieren – und fällt aus allen Wolken: Nichts, was Emma ihm über ihre Vergangenheit erzählt hat, scheint zu stimmen! Wen, zum Geier, hat er da geheiratet? Oh, denkt man als phantasiebegabte Leserin, Zeugenschutzprogramm? Bankraub, Terrorismus, Spionage? Hatte Emma mal einen anrüchigen Beruf? Oder ist sie gar als Mann auf die Welt gekommen? 

Leo weiß gar nicht, was er denken und tun soll. Die Fragen, die er jetzt hat, kann er seiner Frau erst recht nicht stellen. Was soll er auch sagen? „Ich war an deinen Unterlagen, weil ich deinen Nachruf vorbereite und habe gesehen, dass …“? Nee, das geht gar nicht! Sich an ihre langjährigen Freundinnen zu wenden, ist auch keine Option. Die würden schnurstracks zu ihr rennen und petzen, wonach er sich erkundigt hat. Also macht er das, was Journalisten so machen: Er recherchiert. Er liest auch heimlich die Nachrichten auf Emmas Handy und reimt sich das abstruseste Zeug zusammen.

Leos Kollegin Sheila, die Frau mit Geheimdienst-Vergangenheit, wäre ihm unter normalen Umständen eine Hilfe, aber sie ist gerade völlig durch den Wind, weil ihre Freundin, die Schauspielerin Janice Rothschild, spurlos verschwunden ist. Sie ist während einer Probe kurz hinausgegangen und ward nicht mehr gesehen.

Leo hat nicht die geringste Ahnung, dass seine Frau und deren beste Freundin die Schauspielerin seit vielen Jahren persönlich kennen. Er ist überrascht, als er erfährt, dass Emma wiederholt mit Janices Mann Jeremy gesehen worden ist.

Wir Leserinnen wissen, dass sich Emma heimlich mit jemandem trifft. Ach, nee, denken wir, das große Geheimnis wird doch nicht sowas Profanes wie ein außereheliches Verhältnis sein? Das wäre sehr schwach! Doch nein, so simpel ist die Sache nicht! Es ist aber eine Geschichte nach dem bekannten Muster: „Wenn die Menschen rechtzeitig vernünftig miteinander geredet hätten, wäre das alles nicht passiert“. 

Hätte nicht gerade Leo wissen müssen, dass eine Identität keine fixe Größe ist? Name, Staatsangehörigkeit, Religion, das alles kann man ändern. Heutzutage sogar das Geschlecht. Aber Leo hat ein Vertrauensproblem und kriegt die Krise, wenn er merkt, dass man ihn belügt. Anfangs wollte Emma ihm die Wahrheit sagen, aber sie hat den richtigen Zeitpunkt verpasst, und irgendwann war es für eine „Generalbeichte“ zu spät. Da hätte sie schon als Lügnerin dagestanden, und damit hat der Gatte ja ein Problem. Ab da hat sie nur noch gehofft, dass ihre Vergangenheit unter dem Deckel bleibt und Leo niemals davon erfährt. Hat leider nicht funktioniert …

Es steckt eine tragische Vorgeschichte hinter Emmas Geheimnistuerei und Janice Rothschilds Verschwinden, und alle Beteiligten taten mir von Herzen leid. Aber ich hatte etwas viel Spektakuläreres erwartet. Da lag der Fehler jedoch bei mir: EIN GANZES LEBEN LANG ist kein Thriller, sondern ein Liebesroman.

Ich habe wenig Geduld mit hausgemachten Problemen. Leute, redet miteinander, und dann werdet ihr schon sehen, woran ihr seid! Die Augen zuzukneifen und zu hoffen, dass ein Problem von selbst wieder weggeht, hat etwas Seifenopernhaftes und funktioniert nicht einmal dort!

Spannend war’s aber schon. Ich wollte partout wissen, was damals geschehen ist und wie das alles zusammenhängt, aber es ist eben nicht ganz mein Genre.

Die britische Autorin Rosie Walsh lebt mit ihrem Lebensgefährten und zwei Kindern in Bristol. Ihr Debüt »Ohne ein einziges Wort« stand wochenlang an der Spitze der Spiegel-Bestsellerliste. Rosie liebt lange Spaziergänge, spielt Violine in einem Orchester, kocht und tanzt, so oft sie kann.

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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