Marie Benedict: Die einzige Frau im Raum. Roman

Marie Benedict: Die einzige Frau im Raum. Roman. OT: The Only Woman in the Room, aus dem amerikanischen Englisch von Marieke Heimburger, Köln 2024, Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-00675-9, Softcover, 298 Seiten, Format: 12,4 x 2,03 x 19 cm. Auch als Hörbuch lieferbar.

Abb.: (c) Kiepenheuer & Witsch

Perplex sah George mich an […]. „Ich bin schwer beeindruckt, wie viel Sie über diese Technologie wissen und dass Sie überhaupt über so viele vermutlich geheime militärische Informationen […] verfügen. Ich hatte nicht damit gerechnet, heute über derlei Dinge mit Ihnen zu sprechen, Hedy, und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, Fragen zu stellen.“ 

(Seite 249)

Hedy Lamarr (eigentlich Hedwig Eva Maria Kiesler, 1914 – 2000) kannte ich nur als Schauspielerin. Erst als ich las, sie habe WiFi erfunden, beziehungsweise das dieser Technologie zugrundeliegende Frequenzsprungverfahren, habe ich begonnen, mich näher mit ihr zu beschäftigen.

War Hedy denn Ingenieurin? Nein! Sie war eine „höhere Tochter“ aus Wien-Döbling, die mit 16 die Schule abgebrochen hat, um Schauspielerin zu werden. Auch wenn sie sehr intelligent war und ihr Vater, ein Banker, ihr mathematisches und naturwissenschaftliches Interesse förderte, hat sie das noch nicht zu einer solchen Erfindung befähigt. Wie also …?

Des Rätsels Lösung: Ihre erste Ehe! 1933 heiratet die Achtzehnjährige den um 14 Jahre älteren Waffenfabrikanten Friedrich „Fritz“ Mandl – ganz pompös in der Wiener Karlskirche, auch wenn Hedy Jüdin ist und ihr Bräutigam jüdischer Abstammung. Hier im Roman sieht es so aus, als hätten ihre Eltern sie in diese Ehe hineingequatscht. Sie haben sich von dem einflussreichen Geschäftsmann Schutz für ihre Tochter versprochen. Schutz vor dem stärker werdenden Antisemitismus. Viel Überredungskunst haben sie nicht gebraucht. Fritz ist Hedy gegenüber charmant und aufmerksam, er überhäuft sie mit Geschenken und versichert ihr, dass er nicht nur ihre Schönheit, sondern auch ihre Intelligenz, ihre Meinung und ihre Stärke schätzt. 

Das Luxusleben an seiner Seite gefällt ihr. Dafür gibt sie auch mit leisem Bedauern die Schauspielerei auf. Fritz will das so. Doch kaum sind die beiden verheiratet, zeigt er sein wahres Gesicht. Er ist rasend eifersüchtig, betrachtet Hedy als sein Eigentum und wird gewalttätig, wenn sie nicht das macht, was er erwartet.

Politisch und moralisch ist Fritz flexibel. Er glaubt nur an Macht und Geld. So gehen auch Politiker verschiedener Seiten bei ihm ein und aus: österreichische, italienische, deutsche … Und stets als schmückendes Beiwerk und perfekte Gastgeberin an seiner Seite: seine junge Ehefrau. Die Männer reden vor ihr ungeniert über ihre Ziele und Pläne, doch sie versteht viel mehr davon, als sie glauben. Hedy wird himmelangst, weil sich jeder einzelne als gefährlicher Antisemit erweist. Und ihre Eltern, säkulare Juden, hoffen immer noch, dass alles nur halb so schlimm wird.

Irgendwann hält Hedy es nicht mehr aus: die Brutalität ihres Ehemanns, ihre Quasi-Gefangenschaft und die politischen Entwicklungen. Sie beginnt, Geld auf die Seite zu schaffen und Fluchtpläne zu schmieden. Ihr Plan ist verwegen – in Wahrheit ist das wohl etwas simpler abgelaufen – aber er gelingt. 1937 flüchtet sie über Paris und London in die USA.

Louis B. Mayer, der Chef der MGM-Filmstudios, nimmt sie unter Vertrag. Er ist es auch, der Hedwig Kiesler den Namen Hedy Lamarr verpasst. Und das Studio sorgt für ihren oft kopierten Look: Dunkles, gewelltes Haar mit Mittelscheitel, blasser Teint, betonte Augenbrauen, dunkel geschminkte Lippen. MGM vermarktet Hedy als „die schönste Frau der Welt“. Das Publikum ist begeistert und Hedy wird schnell ein Star. Glücklich ist sie nicht. Zwar ist sie nach ihrer Scheidung endlich frei, doch wie viele andere Emigrantinnen und Emigranten verfolgt auch sie mit großer Sorge die Vorgänge in Europa. 

Hedys Vater ist inzwischen verstorben, aber ihre Mutter lebt noch in Wien. Sie hat sich schlicht geweigert, ihre Heimat zu verlassen, als Hedy ihr das angeboten hat. Niemals würde Gertrud Kiesler etwas gutheißen, das ihre Tochter sagt, denkt, tut oder vorschlägt! Die zwei sind noch nie miteinander ausgekommen. Okay, denkt sich Hedy, dann eben nicht! Dann bleibst du halt da.

Jetzt, in den USA plagt sie doch das schlechte Gewissen. Nicht nur, weil sie allein das Land verlassen hat, sondern weil sie genau gewusst hat, was die Faschisten vorhaben und niemandem davon erzählt hat. Man hätte ihr wahrscheinlich sowieso nicht geglaubt. Aber Hedy hat das Gefühl, nicht nur Familie, Freunde und Bekannte, sondern das gesamte europäische Judentum im Stich gelassen zu haben und versucht nun verzweifelt, das irgendwie wiedergutzumachen.

Zusammen mit Ehemann Nr. 2 (Hedy war insgesamt sechsmal verheiratet), dem Drehbuchautor Gene Markey, adoptiert sie 1940 ein Baby, das Flüchtlingskind James. In der Realität gibt es wilde Spekulationen darüber, ob James nicht doch das leibliche Kind von Hedy Lamarr war, weil eine entsprechende Geburtsurkunde existiert. Das scheint inzwischen widerlegt zu sein. Doch wenn Hedy – warum auch immer – so ein Papier hat haben wollen, wird das Studio es möglich gemacht haben.

Hedy will mehr tun, als nur einem Kind eine neue Familie geben. Am liebsten etwas Kriegsentscheidendes. Als 1940 die „City of Benares“ von den Deutschen torpediert wird und dabei unter anderem 83 Kinder ums Leben kommen, die nach Kanada in Sicherheit hätten gebracht werden sollen, hat sie die Idee: Torpedos, ja genau! Darüber haben Fritz und seine Geschäftspartner immer wieder gesprochen! Was, wenn die US Navy über Torpedos verfügen würde, die treffsicherer als die der Deutschen wären? Fernsteuerung statt Drahtsteuerung! Die müsste dann aber so gestaltet sein, dass die Funkfrequenzen nicht vom Feind gestört werden können. Allerdings haben sich an dem Problem schon diverse Experten die Zähne ausgebissen. Aber vielleicht gibt’s doch einen Weg …

Hedy spannt den mathematisch begabten Tüftler, Musiker und Komponisten George Antheil für dieses Projekt ein und gemeinsam bekommen sie ihr „Frequenzsprungverfahren“ tatsächlich zur Patentreife. Doch die Navy will ihre Erfindung nicht haben, nicht einmal, als Hedy den Entscheidungsträgern das Prinzip persönlich erklärt. 

Ob sie sie tatsächlich mit so hanebüchenen Ausreden abgebügelt haben wie im Buch? Oder ob sie die Erfindung gar heimlich genutzt haben? Hedy Lamarr und George Antheil haben jedenfalls nie einen Cent für ihre Erfindung gesehen. Ob die beiden das Verfahren von Grund auf neu entwickelt haben oder ob Hedy, wie ein Gerücht besagt, bei ihrer Flucht vor Fritz Mandl nicht nur Geld, Schmuck und Pelze, sondern auch vertrauliche Papiere mitgenommen hat, wissen wir nicht. Tatsache ist, dass das Patent so lange im Archiv verstaubt ist, bis es abgelaufen war. Erst danach ist es zu Ehren gekommen – als Grundlage für die drahtlose Kommunikation, die wir heute täglich nutzen.

„Jedes Handy erinnert an Hedys Leben jenseits der Filme, die sie berühmt gemacht haben.“ 

(Seite 298)

Der Roman endet 1942. Aber nach allem, was ich inzwischen über die Künstlerin weiß, war sie ihr Leben lang auf der Suche. Oder auf der Flucht. Sie ist nie irgendwo angekommen. Im Buch sagt sie öfter, dass sie ständig „Masken“ trage und nur bei ganz wenigen Menschen sie selbst sein könne. Das erklärt wohl auch die widersprüchlichen Aussagen, die verschiedene Wegbegleiter über sie gemacht haben. Jeder scheint eine andere Hedy gekannt zu haben.

Mit der ersten Hälfte des Buchs habe ich mich ein bisschen schwergetan, weil es darin nur um ihre desaströse Ehe mit Fritz Mandl, dem „Kaufmann des Todes“ ging. Eine junge misshandelte Ehefrau im goldenen Käfig, das möchte ich eigentlich nicht lesen. Aber dieses Kapitel ihres Lebens ist nun mal die Grundlage für alles, was danach kommt. Ich habe mich durchgebissen und verstehe Hedy Lamarrs abenteuerliches Leben nun ein kleines bisschen besser.

Jetzt habe ich schon einige Romanbiografien über erfolgreiche Frauen gelesen und ein immer wiederkehrendes Muster scheint dabei der liebevolle Vater zu sein, der seiner Tochter geduldig die Welt erklärt, während sich die zickige und ewig unzufriedene Mutter nicht als Identifikationsfigur eignet. Ich glaube nicht mehr, dass das ein Zufall ist. Ich werde es beobachten!

Marie Benedict, geboren 1973, studierte am Boston College Geschichte und Kunstgeschichte und an der Boston University School of Law. Ihre Bücher über starke Frauen der Weltgeschichte haben Bestsellerstatus. Ihr Roman »Frau Einstein« verkaufte sich über 100.000-mal allein in Deutschland. Sie ist Anwältin und lebt mit ihrer Familie in Pittsburgh.

Marieke Heimburger, geboren 1972, hat in Düsseldorf Literaturübersetzen für Englisch und Spanisch studiert. Seit 1998 übersetzt sie englischsprachige Literatur, u.a. Stephenie Meyer, Rowan Coleman, Kiera Cass, Sally McGrane, seit 2010 auch aus dem Dänischen, u.a. Jussi Adler-Olsen, Anna Grue, Mads Peder Nordbo. 

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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