Melanie Metzenthin: Unsere kurze Ewigkeit. Margarethe und Fritz Krupp, Roman einer Ehe

Melanie MetzenthinUnsere kurze Ewigkeit, Margarethe und Fritz Krupp. Roman einer Ehe, München 2024, Piper Verlag, ISBN 978-3-492-06397-5, Klappenbroschur, 413 Seiten, Format: 13,5 x 3,9 x 20,3 cm, Buch: EUR 18,00 (D), EUR 18,50 (A), Kindle: EUR 14,99.

Abb.: (c) Piper Verlag

„Wäre sein Leben wohl anders verlaufen, wenn er sich als junger Mann gegen seinen Vater gestellt hätte? Wenn er nicht von seiner Mutter gelernt hätte, seine Macht aus seiner Krankheit zu beziehen?“ 

(Seite 337)

Es ist nicht das erste Buch, das ich über die Familie Krupp lese. Die Handlung war mir also grob vertraut. Aber ich wollte unbedingt wissen, was die Autorin, eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, aus dem Stoff macht. Es gibt ja Ereignisse im Leben von Fritz und Margarethe Krupp, über die man nichts Genaues weiß, aber gerne mehr wüsste. Da muss man sich aus vorhandenen Informationen zusammenreimen, was wohl geschehen sein mag. Ich dachte, dass eine Fachfrau, die weiß, wie wir Menschen ticken, hier sicher mit einer plausiblen Theorie aufwarten kann. Und, ja, durchaus!

Doch fangen wir von vorne an: Friedrich Alfred „Fritz“ Krupp (geb. 1854) ist der einzige Sohn und Erbe des Essener Industriellen Alfred Krupp und dessen Frau Bertha. Also der Sohn des „Kanonenkönigs“. Gegen seinen Vater kann Fritz sich nie durchsetzen. Von klein auf kränklich (Asthma, Rheuma) bedient er sich der Taktiken seiner Mutter, die sich auch gern in ihre Krankheiten flüchtet, wenn ihr alles zu viel wird. Einem Leidenden wird man nichts zumuten.

Von anderem Kaliber ist Fritz‘ spätere Frau Margarethe von Ende (ebenfalls 1854 geb.). Sie hatte auch andere Startbedingungen: Sie stammt aus verarmtem Adel, hat noch rund ein Dutzend Geschwister und eine standesdünkelhafte Mutter, die die Pflichten der Haushaltsführung und Kindererziehung schnellstmöglich auf ihre erstgeborene Tochter abwälzt. Margarethe wehrt sich. Sie will etwas lernen, die Welt sehen und ein selbstbestimmtes Leben führen. 

Wenn man bereit ist, die Konsequenzen zu tragen, sagt sich Margarethe, dann kann man alles machen. Gegen den Widerstand ihrer Mutter – der Vater hat daheim nicht viel zu sagen – absolviert sie eine Ausbildung an einem Lehrerinnenseminar und ist danach in England und später am Hof von Sachsen-Anhalt in Dessau als Erzieherin tätig. Bei der Mutter ist sie damit unten durch. Sie betrachtet die Tochter jetzt als Dienstbotin, die, wenn sie ihr Elternhaus besucht, durch den Hintereingang gehen und in einer Dienstmädchenkammer schlafen muss. Margarethe nimmt das hin, denn sie lebt genau das Leben, das sie will. Das ist eben der Preis dafür.

Fritz Krupp und Margarethe von Ende lernen einander kennen, als sie beide 18 sind. Das ist jetzt nicht die leidenschaftliche Liebe auf den ersten Blick, aber sie verstehen sich gut, können über alles reden und begreifen sich als Seelenverwandte. Als sie in England arbeitet, besucht Fritz sie und gesteht ihr seine Liebe. Aber er traut sich nicht, seinen Vater um die Erlaubnis zu bitten, Margarethe heiraten zu dürfen. Er weiß was kommen wird: Ein klares Nein. Keine verarmte Adelige und erst recht keine, die schon im selben Alter ist wie Fritz!

Margarethe drängelt nicht. Heiraten war nie ihre erste Priorität. Aber wenn, dann kann sie sich Fritz als Partner vorstellen. Doch da er nicht in die Hufe kommt, wird das wohl nichts werden. Auch wenn beiden klar ist, dass sie die Stärkere ist, kann sie ja nicht hingehen und bei seinem Vater um seine Hand anhalten. Fritz wär‘ das womöglich am liebsten gewesen. – Na, dann eben nicht!

Erst als beide 28 sind, treten sie vor den Altar. Natürlich erwartet man nun, dass bald Nachwuchs kommt. So eine Heirat hat auch „dynastische“ Gründe und Margarethe ist nicht mehr so jung. Doch besonders leidenschaftlich ist Fritz nie. An S*x hat er kaum Interesse. Generell nicht. Sie haben dann trotzdem zwei Töchter, Bertha, die Firmenerbin (geb. 1886) und Barbara (geb. 1887). Danach hält Fritz seine Pflicht für erfüllt und zieht sich immer öfter auf seine Krankheiten und in seine Kuren und Auslandsaufenthalte zurück. 

Seit dem Tod von Krupp Senior ist Fritz zwar der Firmenchef, aber er ist ja nie da. Es hängt alles an Margarethe: Kinder, Haushalt – die „Villa Hügel“ ist wie ein Schloss und verfügt über 600 Bedienstete – sowie Repräsentationspflichten mit Kontakten bis hinauf zum Kaiserpaar. In Firmenangelegenheiten wird sie schon auch das eine oder andere mitentschieden haben. Sie hat auf jeden Fall eine Menge Verantwortung und stets viel zu tun.

Der Gatte holt derweil auf Capri seine Jugend nach, wähnt sich dort als „Gleicher unter Gleichen“ bei den einfachen Leuten, betätigt sich als Naturforscher und bewegt sich in seltsamen Kreisen. Was die „Bruderschaft“ dort treibt, der er sich angeschlossen hat, mag gesetzestreu und moralisch einwandfrei sein, aber ein bisschen seltsam ist es schon. Die Eheleute Krupp werden einander immer fremder.

Wer reich und mächtig ist, hat Feinde, und so dauert es nicht lange, bis böse Gerüchte die Runde machen. Was auf Capri geschwätzt wird, kann den Krupps in Essen egal sein, doch beim lokalen Klatsch bleibt es nicht. Erst berichten italienische Zeitungen über angebliche homose*uelle Umtriebe des deutschen Firmenchefs, dann greifen deutsche Blätter das Thema auf. 

Obwohl Krupps gegen die Zeitungen klagen und sich auch der Unterstützung des Kaiserhofs sicher sein können, kann Fritz sich eigentlich nirgends mehr blicken lassen. Und Margarethe kommt ins Grübeln: War das der Grund für Fritz‘ se*uelles Desinteresse? Männer? Kann eigentlich nicht sein, oder? Das hätte sie doch bemerkt!

Als Fritz 1902 überraschend stirbt, ohne dass Frau und Kinder sich von ihm hätten verabschieden können, schlagen die Gerüchte neue Wellen: Jetzt mutmaßen die Leute, er habe sich wegen der Geschichte auf Capri das Leben genommen. Auf dem Totenschein steht „Schlaganfall“. Ja, was war’s nun? – Wir wissen es nicht. Doch Melanie Metzenthins Schilderung der Vorgänge erscheinen mir plausibel.

Wie geht’s jetzt weiter? Firmenerbin Bertha ist noch minderjährig und kann erst in vier Jahren die Unternehmensleitung übernehmen. Dass sie dafür bestens qualifiziert ist, dafür haben ihre Eltern gesorgt. Bis zu Berthas Volljährigkeit muss Margarethe als Treuhänderin einspringen. 

Hören denn die ermüdenden Verpflichtungen niemals auf? Margarethe spürt, dass sie keine 20 mehr ist, sie steckt die Belastungen nicht mehr so leicht weg. Ihr Leben lang hat sie für alles und jedes die Verantwortung getragen. Was uns zu der Frage führt, was sie wohl tun wird, wenn Firma und Villa mit allem, was dazugehört, endgültig in Berthas Hände übergehen. Nur zeichnen, spazieren gehen und die Enkelkinder bespaßen wird ihr sicher nicht genügen. Aber Frauen wie Margarethe fällt immer was ein …

Obwohl ich die Geschichte schon kannte, konnte ich nicht aufhören zu lesen. Sagen wir so: Was die Krupps gemachthaben, wusste ich. Warum sie so gehandelt haben und wie sich das für sie angefühlt hat, darüber hatte ich mir eine Meinung gebildet, die ich hier zum großen Teil bestätigt fand. Es kamen aber auch neue Aspekte hinzu. Fritz und seine Mutter sehe ich jetzt in einem etwas anderen Licht. Und auch Eleonore, Margarethes Mutter, war wohl doch nicht nur eine bl*de Kuh, sondern ein Opfer der Umstände. Sie hatte Gründe für ihr oft unverständliches Verhalten.

UNSERE KURZE EWIGKEIT ist keine Biografie, sondern ein Roman, und er hat mir Fritz und Margarethe Krupp und deren ungewöhnliche Ehe auf faszinierende Weise nahegebracht.

Melanie Metzenthin lebt in Hamburg, wo sie als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie arbeitet. Sie hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen psychische Erkrankungen oft eine wichtige Rolle spielen. Beim Schreiben greift die Autorin gern auf ihre berufliche Erfahrung zurück, um aus ihren fiktiven Charakteren glaubhafte Figuren vor einem realistischen Hintergrund zu machen. 2020 wurde sie für ihr Buch „Mehr als die Erinnerung“ mit dem DELIA Literaturpreis ausgezeichnet.

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
www.boxmail.de

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