Jo Hedwig Teeuwisse: Fake History. Hartnäckige Mythen aus der Geschichte

Jo Hedwig TeeuwisseFake History. Hartnäckige Mythen aus der Geschichte. 101 Dinge, die so nie passiert sind, aber alle für wahr halten. OT: Fake History. 101 Things that Never Happened, aus dem Englischen von Ralf Pannowitsch, München 2023, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN 978-3-453-60661-6, Klappenbroschur, 431 Seiten mit zahlreichen s/w-Abbildungen, Format: 13,7 x 4,4 x 20,7 cm, Buch: EUR 18,00 (D), EUR 18,40 (A), Kindle: EUR 11,99.

Abb.: (c) Wilhelm Heyne Verlag

„Fake History treibt nicht nur im Internet ihr Unwesen – es gibt auch Legenden, die von Generation zu Generation weitergereicht werden, ohne dass man sie je hinterfragt hätte. Und selbst die Informationen, die wir in Museen bekommen, stimmen nicht immer. So kommt es, dass am Ende Millionen Menschen den größten Unfug glauben.“

(Aus dem Klappentext)

Um die große Weltgeschichte geht’s hier eher weniger. Das aber hatte ich angenommen, als ich mir das Buch zugelegt habe. Na gut, dann ist es eben nicht ganz so relevant wie ich gehofft hatte. Aber amüsant und interessant ist es trotzdem. Die Historikerin Jo Hedwig Teeuwisse stellt nämlich alle möglichen Ereignisse auf den Prüfstand, von denen – online oder offline – hartnäckig berichtet wird und die ihr irgendwie zweifelhaft erscheinen. Und da kommt ganz schön was zusammen! In lockerem Plauderton klärt sie uns darüber auf, was daran nicht stimmt, woran man das erkennt und wie es wirklich war.

Wie hoch der Erkenntnisgewinn ist, kommt, wie bei allen Sachbüchern, auf den Kenntnisstand der Person an, die es liest. Für mich gibt’s hier fünf verschiedene „Reaktions-Kategorien“:

  1. „Ja, das leuchtet ein. Gut zu wissen, das merke ich mir.“
  2. „Diese Behauptung ist mir noch nie im Leben untergekommen!“
  3. „Macht sich darüber außerhalb des englischen Sprachraums überhaupt jemand Gedanken?“
  4. „Aber das weiß man doch!“
  5. „Gibt’s echt Leute, die sowas glauben?“

Mengenmäßig gewichten kann ich diese Kategorien leider nicht. Vielleicht ist alles in ungefähr der gleichen Größenordnung vertreten.

Interessant ist auf jeden Fall, wie die Autorin den Mythen auf den Grund geht. Zur Höchstform läuft sie immer dann auf, wenn jemand behauptet, das hier Beschriebene sei zum allerersten Mal passiert.

Wir lernen, wenn wir es nicht schon wussten, dass Napoleon Bonaparte NICHT der ägyptischen Sphinx die Nase weggeschossen hat und dass er gar nicht so klein war, wie wir heute glauben. Woher diese Fehlinformationen stammen, erfahren wir auch. Wir entdecken, dass Wikingerhelme keine Hörner hatten und es im Mittelalter keineswegs so dreckig und unhygienisch zugegangen ist, wie man uns oft erzählt. Auch konnten wesentlich mehr Leute lesen und schreiben, als man gewöhnlich annimmt. Thomas Edison hat NICHT die Glühbirne erfunden und unsere Vorfahren hielten mitnichten die Erde für eine Scheibe. Und ob tatsächlich die Niederländer dafür verantwortlich sind, dass die Karotten heute orange sind, verrät uns die Autorin auch.

Dass viele angeblich historische Fotos nicht das zeigen, was – vor allem im Internet – behauptet wird, haben wir uns schon gedacht. Da gibt’s absichtliche oder unabsichtliche Fehlinterpretationen, schnöde Fälschungen, Abbildungen, die von einer künstlichen Intelligenz geschaffen wurden oder Bilder, die von Filmsets stammen. Da sieht man keinen „Zeitreisenden“, sondern einen kostümierten Schauspieler, der in der Drehpause an seinem Handy daddelt.

Die Trekkies waren tatsächlich beleidigt, als die Autorin nachwies, dass es eben NICHT die Serie RAUMSCHIFF ENTERPRISE war, die 1968 den ersten Filmkuss zwischen zwei Menschen unterschiedlicher Hautfarbe zeigte? Wieso das denn? Wir wussten doch schon lange, dass das nicht stimmt!

Woher die Begriffe „Honeymoon“ und „upper crust“ wirklich stammen und wo der wahre Ursprung eines englischen Kinderlieds liegt, darüber wird man sich im deutschsprachigen Raum eher nicht den Kopf zerbrechen. Diese Beiträge kann man mit mildem Interesse lesen oder einfach überblättern.

Muss man heute echt noch sagen, dass (und warum) man im mittelalterlichen Europa keine Kartoffeln und Tomaten gegessen hat? Dass antike Statuen nicht immer so weiß waren, wie wir sie kennen, sondern farbig bemalt? Und dass man die chinesische Mauer eben NICHT aus dem Weltall sehen kann? Anscheinend ja. Es sind eben jede Menge Leute unterwegs, die es nicht besser wissen oder absichtlich die Unwahrheit verbreiten. Das gilt auch für Museumsführer und Reiseleiter, die ihr Publikum mit längst widerlegten Anekdoten unterhalten. Entweder glauben sie das alles wirklich, oder sie wollen ihre Vorträge mit faszinierenden Lügengeschichten aufpeppen.

Welchen Aufwand die Autorin betreibt, um Mythen als solche zu entlarven, wird zum Teil aus den Beiträgen selbst deutlich und auch das ausführliche Quellenverzeichnis ist ein Hinweis darauf. Manche Recherchemethoden kenne und verwende ich auch, auf andere wäre ich spontan nicht gekommen. In Sachen Misstrauen und Recherche kann man sich etwas von der Historikerin abgucken! Auch wenn wir Leserinnen und Leser wahrscheinlich nicht über ihre Möglichkeiten und ihr Netzwerk verfügen.

Jo Hedwig Teeuwisse jagt schon seit ein paar Jahren „Fake History“ im Internet und hat entsprechend Erfahrung darin: https://fakehistoryhunter.net  – Ich glaube fast, ihre Online-Aktivitäten sind spannender als das Buch. In einem Interview hat sie zum Beispiel erzählt, welche interessanten Dialoge sich zum Teil auf Twitter/X ergeben, wenn sie andere Leute sachlich auf ihren Irrtum aufmerksam macht. Manche bedanken sich, andere regen sich fürchterlich auf – was sie eher lustig als lästig findet – und gelegentlich gewinnt auch sie neue Einsichten, wenn sie sich mit Menschen aus ganz anderen Teilen der Welt austauscht. Erst streitet man miteinander über irgendwelche Fakten, und schließlich gehen beide vom Platz mit dem Gefühl: „Das war jetzt ein erhellendes Gespräch. Ich habe was Hochinteressantes dazugelernt!“ 

Das Buch war jetzt vielleicht nicht so der Brüller, aber ich glaub‘, die Frau ist klasse. Ich bereue nicht, von dieser humorvollen Autorin und ihrer unermüdlichen Aufklärungsarbeit erfahren zu haben.

Jo Hedwig Teeuwisse, geb. 1972, ist eine weithin anerkannte niederländische Historikerin, die als »The Fake History Hunter« in den Sozialen Medien falsche historische »Fakten« entlarvt. Seit über 20 Jahren studiert, lehrt und forscht sie im Bereich Geschichte und ist Expertin für das tägliche Leben im mittelalterlichen Europa sowie für die Geschichte der Kriminalität. Jo Teeuwisse hat als historische Beraterin in Museen unterrichtet, an Dokumentarfilmen mitgearbeitet und für zahlreiche Filme recherchiert. Sie lebt in Bourtange, nahe der deutsch-niederländischen Grenze.

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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